Preisträger

Unterricht innovativ
2020
Sonderpreis Die Zeit

„Erzähl doch mal…!“

Projektteam: v.l.n.r.: Teresa Fruntke und Tanita Heindl

Projektbeschreibung

Die Begriffe Mauerfall, Wiedervereinigung oder Deutsche Einheit rufen in den Köpfen der Zeit­zeugen zahlreiche Erinnerungen und Gefühle hervor. Die Jahre 1989 und 1990 sind für die Schülerschaft heutzutage oft nur noch ein Teil der Geschichte so wie andere historische Ereig­nisse anderer Epochen. Am JGS-Gymnasium in Vacha wurde das Jubiläumsjahr 2019/2020 zum Anlass genommen, erstmals deutsch-deutsche Geschichte erlebbar zu machen und ein ganz­heitliches Konzept von den Geschehnissen um die Friedliche Revolution zu vermitteln. Dieses wird in den folgenden Schuljahren (auch ohne Jubiläum) weitergeführt.

Das schuljahresübergreifende Projekt zielt darauf ab, historisches Lernen, verbunden mit der Wertschätzung der heutigen Demokratie, neben dem regulären Fachunterricht durch fächerüber­greifende Projekte, Zeitzeugengespräche, Gedenkstättenbesuche, das Erstellen von eigenen (digitalen) Beiträgen sowie die Auseinandersetzung mit Produkten der Geschichtskultur zu ermöglichen.

Das Programm setzt sich aus schulinternen und öffentlichen Veranstaltungen zusammen und beabsichtigt, konkrete Erfahrungen mit Geschichte und Geschichtskultur zu ermöglichen sowie diese zu reflektieren und mit anderen Erkenntnissen abzugleichen. Aufgrund der Nähe des Schulstandortes zur ehemaligen innerdeutschen Grenze ist ein länderübergreifender Erfah­rungsaustausch beabsichtigt. Ferner wird durch das Einbringen von möglichst vielen Akteuren das Ziel verfolgt, einen regen Austausch zwischen den Jugendlichen, in ihren Familien- und Bekanntenkreisen sowie zwischen neuen Gesprächspartnern zu erreichen, um das Gemein­schaftsleben über die Schule hinaus lebendiger zu machen.

Das Besondere

Im Projektunterricht „Erzähl doch mal…!“ lernen die Schüler:innen die Zusammenhänge des Mauerfalls nicht nur im Unterricht aus dem Schulbuch kennen, sondern kommen aktiv mit ihren Familien darüber ins Gespräch: „Erzähl doch mal…, wie hast du eigentlich die Friedliche Revo­lution und den Mauerfall erlebt?“. Das Epochenjahr 1989/1990 wird für sie „erlebbar“ und sie erkennen, dass es auch ihre eigene bzw. die Geschichte ihrer Familie ist. Teamfähigkeit und Eigenverantwortung der Jugendlichen werden auch weit über den eigentlichen Unterricht hinaus gefordert, da die Schüler:innen in Gruppen Zeitzeugen interviewen, Podcasts produzieren oder eine Theateraufführung planen und durchführen sollen. Um ein Endprodukt zu erstellen, müssen sich alle Teammitglieder aufeinander verlassen können.

Die eigene Familien- und Regionalgeschichte zu „erleben“ und in den großen historischen Kon­text des Kalten Krieges und der Wiedervereinigung Deutschlands einzuordnen, macht das Ler­nen nachhaltig. Gleichzeitig wird eine Brücke zwischen den Fächern Deutsch und Geschichte, aber auch Kunst und Sozialkunde geschlagen: Historische Grundlagen, die die Schüler:innen mithilfe der Projektreihe erfahren und lernen, wenden sie anschließend im Fach Deutsch, Sozialkunde oder Kunst an, indem sie sich mit ihrem individuellen Leben, und dem gesellschaft­lichen Leben beschäftigen – wichtige Grundlagen, um ein soziales Lernen in einer globalisierten Welt zu schaffen. Gleichzeitig werden überwiegend im Fach Geschichte lehrplankonform wesentliche Grundlagen gesetzt.

Die Arbeit als Schüler:innen-Team, aber auch als Lehrkräfte-Team ist unerlässlich und fordert ein hohes Maß an Verantwortung, Absprachen und Verlässlichkeit innerhalb des durchführenden Teams. Fächerübergreifend können immer wieder Rückbezüge erstellt, aber auch neue Ideen eingebracht werden und öffnen damit das historische Thema „Mauerfall und Wiedervereinigung“ auch für das Lehrkräfte-Team als eine spannende Herausforderung, die Synergieeffekte erzeugt.

Erfahrungen und Ergebnisse

Seit vielen Jahren findet ein rasanter Wandel der Arbeitswelt statt, die Bildungspolitik hat nicht zuletzt durch die Einführung des Erwerbs von Kompetenzen statt Lerninhalten in den Lehrplänen und Curricula der Länder reagiert. Beim Einstieg in die Berufs- und Arbeitswelt werden persön­liche, soziale, fachliche und digitale Kompetenzen gefordert. Nicht nur im Bereich der fachlichen Kompetenzen wird durch „Erzähl doch mal…!“ ein Beitrag geleistet, der der Schülerschaft im späteren Berufsleben von Nutzen ist. Neben Selbstständigkeit (Verantwortung übernehmen, aber gleichzeitig flexibel bleiben) wird vor allem die Teamfähigkeit der Schüler:innen geschult, denn als „Einzelkämpfer“ sind die Teilprojekte kaum realisierbar. Hierzu zählt natürlich auch Leis­tungsbereitschaft und Ausdauer. Die Schüler:innen nehmen Herausforderungen an und ent­wickeln gleichzeitig den Ehrgeiz, neue Wege zu finden, wenn etwas nicht auf Anhieb klappt. Zuverlässigkeit und Gewissenhaftigkeit (z.B. beim Verteilen und Bearbeiten von Teilaufgaben für die Erstellung des Podcasts oder beim Theaterstück) sind dabei unerlässlich. Nicht zuletzt lernen die Jugendlichen den Umgang mit unterschiedlichen Computer-Programmen, um ihre Erkenntnisse digital aufzuarbeiten.

Der größte Gewinn für die teilnehmenden Schüler:innen ist die Erkenntnis, dass Freiheit und Demokratie keinesfalls selbstverständlich sind, dass jeder Einzelne immer wieder dafür eintreten sollte. Ferner werden sich die Lernenden darüber bewusst, dass die deutsch-deutsche Geschichte nicht nur „ein“ Thema von vielen im Geschichtsunterricht ist, sondern dass der Prozess der deutschen Teilung und die Wiedervereinigung auch sie selbst betrifft und eine wesentliche Grundlage für das gegenwärtige Zusammenleben darstellt – denn alle Bürger:innen „machen“ die künftige Geschichte.

Aus den Gutachten

„Der Anlass und der Organisationsablauf sowie die Kooperationsmöglichkeiten sind vorbildlich. Der Verlauf ist auf alle Schulen übertragbar.“

Eckdaten

Schule: Johann-Gottfried-Seume Gymnasium Vacha
Bundesland: Thüringen
Jahrgangsstufe: 9-12
Fächer: Deutsch, Geschichte, Kunst, Sozialkunde