Projektbeschreibung
So etwas gibt es nicht alle Tage: 120 Schülerinnen und Schüler bauen über einen Zeitraum von mehreren Monaten ein Tiny House auf dem Schulgelände. Sie nehmen alles selbst in die Hand, werden aber unterstützt von Handwerksfirmen und den Lehrkräften und lernen für das Leben. An der Gemeinschaftsschule Ossenmoorpark in Norderstedt war das von 2019 bis 2022 Realität: Eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern, überwiegend aus den Klassenstufen 9 und 10, entwickelte den Wunsch, selbst ein Tiny House zu bauen und dabei alles – von der Planung, über die Durchführung, bis hin zum kreativen Entwurf und dem Projektmanagement – selbst zu stemmen.
Als UNESCO-Projektschule beteiligt sich die Gemeinschaftsschule Ossenmoorpark immer wieder an Schüler-Lehrer-Netzwerktagungen. Von einer solchen Tagung brachten schon 2018 Schülervertretungen und zwei Lehrerinnen die Idee des Architekten VanBo LeMentzel mit, ein umweltfreundliches und mobiles Tiny House zu bauen. Der Gedanke, Kindern in Not einen Schlüssel für das Haus zu geben oder einfach mit einer Arbeitsgruppe und dem Tiny House für ein paar Tage in die Natur zu fahren, ließ sie nicht mehr los.
2019 begannen die ersten Planungen, Skizzen und Entscheidungen, so dass schon in diesem Jahr ein Hausentwurf gezeichnet und die grobe Planung erstellt wurde. Dann kam die Pandemie, die aber die Idee lieferte, noch einmal frisch zu starten und einen neuen Entwurf anzufertigen, denn plötzlich beteiligten sich viel mehr Schülerinnen und Schüler: Aufgrund von Personalmangel und Kontaktverbot konnten die Projektpräsentationen anderer Wahlpflichtkurse nicht durchgeführt werden, so dass alle anderen Projekte zugunsten des Großprojektes Tiny House gekippt wurden, weil es hier möglich war, die Gruppen an der frischen Luft arbeiten zu lassen.
Die Planungen gingen also voran: In Zusammenarbeit mit Handwerksbetrieben wurde das Tiny House zunächst in kleinere Teilprojekte aufgeteilt, die jeweils einen praktischen Arbeitseinsatz von mindestens 15 Stunden jedes Teilnehmenden erforderten und in ihrer Abfolge der Gewerke zur Fertigstellung des Tiny House führen sollten.
Schülerinnen und Schüler konnten wählen, welches „Gewerk“ sie bearbeiten wollten und wie sie dieses in Teilprojekte untergliedern und sich im Team aufteilen. Schließlich wurden sie in einer „Parship“-Veranstaltung mit ihren Tutorinnen und Tutoren aus der Lehrerschaft verbunden. Das ganze Lehrerkollegium war Teil des Projekts.
Bevor es an den Bau des Tiny Houses ging, führte ein Berufsberater einen Workshop in Projektmanagement durch, auf dem 25 Schülerinnen und Schüler als Delegierte aller Gewerke eine sinnvolle Abfolge aller Projektgruppenaufgaben festlegten. Zwei dieser Projektgruppen koordinierten das gemeinsame Arbeiten digital: Die Gruppen „Finanzcontrolling“ und „Arbeitsprozesse“ bildeten das Steuerungsteam und erstellten für alle Beteilgiten eine digital einsehbare Excel-Liste aller Projekte, aller Teilnehmenden und ihrer Tutoren. Die Controlling-Gruppe erstellte darüber hinaus eine Einnahmen-Ausgaben-Liste, die die Bedarfe der Gruppen, ihre tatsächlichen Ausgaben und den Verbleib der Barmittel erfasste. Neben dieser Liste erwies sich die Liste „Arbeitsprozesse“ als sehr hilfreich, die jeder Gruppe zeigte, wann sie welche Arbeiten erledigen konnte und musste.
Der Geldverkehr wurde durch Formulare geregelt. Große oder von mehreren Gruppen benötigte Waren kaufte die Controlling-Gruppe ein. Die Gruppe Arbeitsprozesse maß am Ende jedes Arbeitsnachmittags, ob die Gruppen genau gearbeitet hatten, passte die Planungen an und ersetzte Gruppen, die ihrer Arbeit nicht nachgekommen waren.
Sie war es auch, die passende Handwerker bestellte, wenn Gruppen ihre Aufgaben zu schwer geworden waren oder wenn sie diese nur unter Aufsicht erledigen durften. Dies betraf z.B. Arbeiten mit der Kreissäge oder Elektro-Arbeiten.
Von Februar bis Juni 2022 baute ein kleines Team weiter, bestehend aus Technik-Lehrkräften, Handwerkern, einigen Schülern und der Schülerin, die im neuen Schuljahr die Leitung der noch zu gründenden Schülerfirma Tiny House übernimmt.
Das Haus ist inzwischen fertiggestellt und fahrbereit und wird nach der Fertigstellung durch eine Schüler-AG vermietet und genutzt.
Das Besondere
Keine Gruppe konnte allein arbeiten, denn sie benötigte die Vor- oder Zuarbeit einer anderen. Alle Schülerinnen und Schüler mussten sich absprechen, einander helfen und auf die Koordinationsgruppe hören, sonst wäre man nicht weitergekommen. Die Gruppen erledigten ihre Aufgaben mit Engagement und bestmöglichem Einsatz, Wissen und Können.
In ihren Reflexionen stellten die Jugendlichen fest, dass sie noch nie handwerklich gearbeitet hatten und Freude am eigenen Tun sowie Stolz auf das Erreichte empfanden. Zudem konnten die Schülerinnen und Schüler für sich entdecken, wie wichtig gutes Projektmanagement ist und dass die Zusammenarbeit verschiedener Gruppen aufmerksamer Koordination bedarf.
Da das Tiny House als Umweltprojekt gedacht wurde, ist es ein Symbol für urbanes Leben und Arbeiten in einer Zeit schwindender Ressourcen und Sicherheiten. Als Visualisierung der fächerübergreifenden Auseinandersetzung eines ganzen Jahrgangs dient es künftig dem informellen Lernen der Schule. Darüber hinaus kann jede Schülergeneration es verändern, weiterbauen oder umwidmen.
Erfahrungen und Ergebnisse
Der größte Gewinn war für die Schülerinnen und Schüler das Erlebnis, etwas Großes und sicher Einmaliges unter Anstrengung und mit der Gefahr des Scheiterns gemeinsam geschafft zu haben.
Da die Gruppen im Rahmen ihrer Prüfung das eigene Projekt dokumentieren und ihren eigenen Lernzuwachs bewerten mussten, hatten sie am Ende sowohl handwerkliche Fähigkeiten gewonnen als auch ihre Sprache darüber gefunden. Die Selbstreflexion in Form der Dokumentation konnte am praktischen Ergebnis ebenso gemessen werden wie an der Fähigkeit, das eigene Projekt mündlich zu präsentieren.
Das Tiny House ist außerdem auch ein Projekt der Berufsorientierung. Die Jugendlichen haben im direkten Kontakt mit Handwerksfirmen und anderen Teilen der Wirtschaft (Zimmerleuten, Elektrotechnikern, Sanitärfachfirma, Berufsberater, Projektmanager, Bank, TÜV, Holzhandel, Baumärkte) Mut und Sprachkompetenz gewonnen.
Aus den Gutachten
„Das Projekt verdeutlicht sehr gut reale Prozesse in der Wirtschaft (Projektplanung, Teamarbeit, Materialbeschaffung, Kooperationen mit anderen Firmen, Termingeschäfte, ökonomische Prinzipien wie Buchhaltung und Kostenkontrolle, Präsentationen etc.), es ermöglicht über die Zusammenarbeit mit Handwerkern teils auch intensive Einblicke in verschieden Berufsfelder.“
„Ein hoch innovatives Projekt, das in seiner Umfänglichkeit eine erstaunliche Umsetzung hochkomplexer Planungs- und Realisierungskompetenz dokumentiert. Grundsätzlich ist es auch auf andere Schultypen/Jahrgangsstufen übertragbar.“