Projektbeschreibung
Anita Hoehle und Marina La Pietra ermöglichten Schülerinnen und Schülern in ihrem Projekt, im Geschichtsunterricht international zusammenzuarbeiten und gemeinsam eine europäische Sicht auf die Geschichte ab 1933 zu gewinnen. Doch nicht nur für die Schülerinnen und Schüler ist das Projekt ein Gewinn, sondern auch die Schulentwicklung erfährt in den Bereichen Erinnerungskultur, Schulkultur, Digitalisierung und interkulturelles Lernen Bereicherung.
Die Projektidee entstand im Spätsommer 2021, als die Heinrich-Böll-Schule die Patenschaft für Stolpersteine des Künstlers Gunter Demning in Hattersheim übernommen hatte. Schülerinnen und Schüler der 10. Klassen sollten die Stolpersteine pflegen. Dazu sollte eine Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv, der Hattersheimer AG Opfergedenken und der Heinrich-Böll-Schule entstehen, bei der sich Schüler und Schülerinnen mit den Stolpersteinen ihrer Umgebung beschäftigen, sich mit Lernenden im Ausland darüber austauschen und Bewusstsein für die historisch-politisch-kulturelle Bedeutung der Stolpersteine und der Erinnerungskultur entwickeln. Ziel des Projektes sollte die Wahrung von und Erinnerung an Identität(en) sein, den Opfern sollte ein Name gegeben werden.
Das Projekt wurde nicht nur im Unterricht durchgeführt, sondern fand begleitend auch über eTwinning statt – eine Plattform der europäischen Kommission, auf der Schulen bzw. Lehrkräfte mit ihren Schülerinnen und Schülern in einem gemeinsamen virtuellen Klassenzimmer zusammenarbeiten. Diese Plattform bietet vielseitige Tools wie einen Projektblog, Pinnwände, Abstimmungstools und Diskussionsräume, über die Schülerinnen und Schüler untereinander oder mit der Lehrkraft kommunizieren können. Die eTwinning-Plattform spielte für dieses Projekt eine große Rolle, weil sie eine Zusammenarbeit über Distanzen hinweg ermöglicht, die in der analogen Welt so nicht realisierbar gewesen wären. Zudem lernten die Schülerinnen und Schüler den Umgang mit einem neuen Programm und arbeiteten sich in eine Form der digitalen Zusammenarbeit ein.
Das Projekt verlief in mehreren Phasen, die jeweils an die unterschiedlichen außerschulischen Projektpartner, die Interessen der Schülerinnen und Schüler sowie an die aktuelle politische Lage („Corona-Demos“, Krieg in der Ukraine) angepasst werden konnten. Es startete am 9. November 2021. Die Lernenden gestalteten Plakate zum 9. November 1938 (Reichspogromnacht), sahen sich Videos zum Thema an und posteten auf einem Padlet im eTwinning ihren Standpunkt zur Frage nach einem Gedenktag am 9. November in Deutschland.
Daran anknüpfend lernten die Schülerinnen und Schüler das Konzept der Stolpersteine kennen, sie suchen nach Stolpersteinen in ihrer Region, sammelten Fotos und Infos auf einem Twinboard und formulierten zu den Stolpersteinen kurze Stadtführervorträge, die sie auf ein Padlet im eTwinning vorstellen. Dort fanden sie auch Formulierungshilfen und Bilder aus einem Fotoalbum von Auschwitz, über das im Unterricht gesprochen wurde.
Weiterhin gelang im Projekt die Verknüpfung von Geschichte und Gegenwart, da bei Corona-Demonstrationen immer wieder Vergleiche zwischen der „Corona-Gesetzgebung“ und der Terrorherrschaft der Nationalsozialisten gezogen werden. Die Schülerinnen und Schüler sollten Biografien von Opfern der Nationalsozialisten und Beschreibungen der Zustände unter der nationalsozialistischen Terrorherrschaft mit Fotos von Corona-Demonstrationen kontrastieren und lernten so, die Verharmlosung des Nationalsozialismus zu erkennen. Sie posteten Ergebnisse und Standpunkte zu diesem Diskussionsthema auf dem Twinboard.
Gegen Ende des Projektes wurden die Schülerinnen und Schüler in internationale Teams eingeteilt, um ein virtuelles Museum zu bauen. Für den Bau des Museums erhielten sie Informationen über die Gedenkstätte Yad Vashem in Israel und stellten Fotos und Informationen von Gedenkstätten und Denkmälern in ihrer Region zusammen. Hier wurden verschiedene Fächer mit einbezogen, so entstand beispielsweise die Schreibwerkstatt „Erinnerung“ in Kooperation mit der Fachschaft Deutsch, in der die Schülerinnen und Schüler Texte für das virtuelle Mahnmal erstellten, diese veröffentlichten und illustrierten (Bilder, Zeichnungen).
Zum Abschluss des Projektes gestalteten die Schülerinnen und Schüler neue Stolpersteine für gemeinsame Werte wie Frieden, Freiheit oder Menschlichkeit, die in jedem Krieg verloren gehen.
Das Besondere
Das Projekt ist ein Beispiel für kollaboratives Arbeiten: Alle Teilnehmenden kreieren gemeinsame Produkte. Es verbindet Geschichte, Politik, Kunst, Musik und Sprache, fördert digitale Kompetenzen und ermöglicht eine fächerverbindende, kollaborative und virtuelle Zusammenarbeit im europäischen Kontext.
Das Thema des Projektes hat angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine eine hohe Aktualität. Die Schülerinnen und Schüler vergleichen aktuelle Fragen mit Fragen der Geschichte. Sie reflektieren gemeinsam Bedeutung und Möglichkeiten von Zusammenarbeit in Europa in Vergangenheit und Gegenwart – im Angesicht eines Krieges in Europa. Sie erkennen, dass Erinnerungskultur zwar Thema im Geschichtsunterricht ist, aber auch darüber hinausgeht. Geschichtsverfälschung können auf aktuelle Themen wie Fake-News angewendet werden. Die Schülerinnen und Schüler müssen daher sensibilisiert und intensiv geschult werden, um heutige Themen mit dem Wissen aus der Geschichte richtig einordnen zu können.
Produkte aus dem Projekt wurden bereits bei Schulveranstaltungen präsentiert: Das virtuelle Museum wurde beim Schulfest der HBS im Juli der Öffentlichkeit mit einem QR-Code zugänglich gemacht. Die von den Schülerinnen und Schülern gestalteten virtuellen Stolpersteine wurden bei einer Gedenkfeier für die Opfer der Mafia in der Schule präsentiert. Das Projekt ist ein Beitrag zur Erinnerungskultur der Heinrich-Böll-Schule.
Erfahrungen und Ergebnisse
Der größte Gewinn liegt in der großen Kreativität, die Schülerinnen und Schüler im Kurs und in diesem Projekt entwickelt haben. Angebotene Möglichkeiten des individualisierten Arbeitens wurden in diesem Projekt sehr gut genutzt und führten zu beeindruckender Auseinandersetzung mit dem Thema (Gedichte, Briefe, Bilder). Schülerinnen und Schüler haben mit Freude, großer Ernsthaftigkeit und großem Engagement gearbeitet und setzten sich selbstständig mit dem Thema auseinander.
Die Schülerinnen und Schüler konnten zudem mehr Sicherheit in der Arbeit mit den neuen iPads der Schule erwerben und haben das Arbeiten auf der eTwinning-Plattform erlernt. Der Umgang mit Bild- und Urheberrechten im Internet, die Bedeutung von Kollaboration im europäischen Kontext und die Zusammenarbeit mit einem internationalen Lehrerteam waren für alle Lernenden ebenso wie für die Lehrkräfte selbst sehr bereichernd.
Aus den Gutachten
„Internationalität und Kooperation im virtuellen Klassenzimmer und dies auch noch in Teamarbeit. Höchste Aktualität – im Spiegel der Geschichte. Ein Volltreffer im Rahmen eines Lehrplaninhalts!“
„Der Blick auf die realen Opfer verfolgt einen zutiefst aufklärerischen Ansatz: Schülerinnen und Schüler werden befähigt, hanebüchenen Aussagen und trivialisierenden Vergleichen, die von Hetzern in sogenannten sozialen Medien gestreut werden, selbstbewusst entgegenzutreten.“