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Lindauer Nobelpreisträgertagung 2024 | „Unsere Zukunft hängt von den Lehrkräften ab“

Seit 1951 treffen sich herausragende Forscherinnen und Forscher einmal jährlich bei der Lindauer Nobelpreisträgertagung. In diesem Jahr mittendrin: Lars Menrath, Lehrer aus Braunschweig. 

Als Träger des Deutschen Lehrkräftepreises 2022 zählte Lars Menrath zu den ausgewählten Lehrkräften, die am Programm Teaching Spirit im Rahmen der Tagung teilnehmen konnten. Eine wertschätzende Erfahrung, wie er uns im Interview berichtet.

“Our future rests on the teachers, thank you all.“

DLP: Herr Menrath, welche Eindrücke haben Sie von der Tagung in Lindau mitgebracht?  

Lars Menrath: Ich habe viel von den Nobelpreisträgern mitgenommen. Wir haben interessante Gespräche darüber geführt, wie man junge Menschen für die Wissenschaft begeistern kann, da dies als Schlüssel zur Lösung der Probleme unseres Planeten betrachtet wird. Ein Nobelpreisträger sagte: „Convince young people that science will help them solve the problems of the planet.“  (dt. „Junge Menschen davon überzeugen, dass die Wissenschaft ihnen helfen wird, die Probleme unseres Planeten zu lösen“.)

Lars Menrath mit Physik-Nobelpreisträger John Mather (2006) (Credit: Lars Menrath)

Auch einige Vorträge fand ich sehr inspirierend. Ein häufig wiederkehrendes Thema war, dass die Preisträger sich auch dann an die Arbeit gemacht haben, wenn Experten sagten, etwas sei nicht möglich oder sehr unwahrscheinlich. Ich glaube, das ist der Geist, den wir dort mitbekommen haben und den wir versuchen werden weiterzugeben.

DLP: Gab es ein persönliches Highlight?

LM: John Mather (Nobelpreisträger der Physik), seine Frau und ich haben zusammen Eis gegessen. Wir standen zusammen in der Schlange und kamen ins Gespräch. Es stellte sich heraus, dass seine Eltern beide Lehrkräfte waren. An seiner Schule in den USA gab es damals keinen Calculus-Unterricht in der Oberstufe, also hat er sich Bücher aus der Bibliothek ausgeliehen, um sich damit in seiner Freizeit zu beschäftigen. Das fand ich sehr beeindruckend und auch erstrebenswert. 

DLP: Sie haben in Lindau an dem Sonderprogramm „Teaching Spirit“ teilgenommen. Wie war das organisiert? 

Lindauer Nobelpreisträgertagung 2024 (Credit: Lars Menrath)

LM: Das Sonderprogramm war in die Tagung integriert. Vormittags haben wir an den Vorträgen der Lindauer Nobelpreisträgertagung teilgenommen, mittags zusammen mit einigen deutschsprachigen Nobelpreisträgern gegessen, und anschließend fanden die Veranstaltungen des „Teaching Spirit“-Programms statt. Diese dauerten etwa drei bis vier Stunden. In dieser Zeit haben wir Vorträge von Didaktikwissenschaftlern aus den Bereichen Chemie, Biologie und Physik gehört, in denen sie ihre aktuellen Forschungsthemen und Untersuchungen präsentierten, wie man Unterricht und Schule optimieren und verbessern kann. Es gab auch praktische Erfahrungen: Wir konnten die Experimente oder Unterrichtsideen, die dort präsentiert wurden, selbst ausprobieren.  

Auf ein Eis mit dem Nobelpreisträger

DLP: Wie praxistauglich war das in Ihren Augen?  

LM: Wir haben beispielsweise ein Experiment gemacht, bei dem wir eine Virtual-Reality-Brille aufhatten und uns im Labor eines Nobelpreisträgers befanden. Dort konnten wir Informationen sammeln, die aktuelle Forschungsarbeit miterleben und die Erkenntnisse analysieren und bewerten. Das war prinzipiell schon umsetzbar für das Lernen in der Schule, vorausgesetzt man hat VR-Brillen, was allerdings in Schule problematisch sein kann. 

DLP: Inwiefern war das Feedback der Lehrkräfte gefragt?

LM: Wir haben mit den Dozenten darüber diskutiert, was aus unserer Sicht in der Praxis funktionieren könnte, was man eventuell auch großflächig einsetzen könnte. Wir haben auch über mögliche Hindernisse gesprochen und darüber, wo wir aus unserer Perspektive als Lehrkräfte Optimierungsmöglichkeiten sehen. Am Ende braucht es Schulen, um die entwickelten Konzepte zu evaluieren und auszuprobieren. Ich stehe dafür jedenfalls gerne zur Verfügung. 

DLP: Was macht Sie optimistisch, dass dieser Dialog mit Ihnen und den anderen Lehrkräften fortgesetzt wird? 

LM: Nach den Gesprächen hatte ich den Eindruck, dass man noch mal mit uns Kontakt aufnehmen wird. Mir ist es nicht aus persönlichen Gründen besonders wichtig, darüber zu diskutieren, sondern weil ich den Unterricht und die Schule verbessern möchte. Deshalb würde ich mich freuen, wenn wir im Gespräch bleiben. Für meinen eigenen Unterricht wäre es spannend, neue Ansätze auszuprobieren und gegebenenfalls Feedback zu geben, um an Optimierungsprozessen teilzuhaben. 

DLP: Haben Sie auch über den Mangel an MINT-Nachwuchskräften gesprochen und inwiefern Schule daran etwas ändern kann? Was braucht es aus Ihrer Sicht, um Schülerinnen und Schüler für MINT-Fächer zu motivieren?  

LM: Ich denke, dass Schülerinnen und Schüler heute genauso interessiert und motiviert sind und mindestens genauso leistungsstark wie früher, insbesondere im MINT-Bereich. Diesen Gedanken trage ich tief in mir und da bin ich mir auch sehr sicher. Allerdings glaube ich, dass wir als Lehrkräfte und als Schule modernere und innovativere Wege gehen könnten, um die Schülerinnen und Schüler zu motivieren. 

DLP: Welche? 

LM: Schon früher gab es Ideen und Ansätze, um Schülerinnen und Schüler schneller zu motivieren, indem man Medien nutzte, die sie im Alltag kennengelernt hatten. Zuerst kamen Bücher, dann das Radio, später das Fernsehen. Ich glaube, wir müssen überlegen, welche neuen Möglichkeiten es gibt, um Wissen zu vermitteln und prozessbezogene Kompetenzen zu fördern. Heutzutage sind Schülerinnen und Schüler gewohnt, mit Smartphones und Computern zu arbeiten. Sie konsumieren Wissen und Informationen auf eine andere Weise als ältere Generationen. Ich denke, es ist wichtig, moderne Medien zu nutzen und sich nicht davor zu verschließen. Schülerinnen und Schüler erwarten, dass wir am Puls der Zeit arbeiten. 

„Schülerinnen und Schüler sind heute genauso interessiert und motiviert wie früher“

DLP: Können Sie ein Beispiel nennen? 

LM: Ein Beispiel ist unser MINT-Schulprojekt Game Based Learning. In Computerspielen müssen Schülerinnen und Schüler Aufgaben lösen, um im Spiel weiterzukommen. Wenn sie eine Aufgabe nicht lösen können, gibt es Nebenquests, wie in einem normalen Computerspiel. Aber anstelle eines „Level-Ups“ des Spielers erweitern sie ihr eigenes Wissen, um weiterzukommen. Das ist eine Möglichkeit, um Wissen auf eine Weise zu vermitteln, die den Schülerinnen und Schülern vertraut ist und die sie motiviert. 

DLP: Wie standen die Lehrkräfte und Wissenschaftler in Lindau dazu? 

LM: Wir waren uns alle ziemlich einig. Das Problem liegt bei den Inhalten und den Ressourcen, die zur Umsetzung notwendig sind. Eine kleine Forschungsgruppe mit nur sehr wenigen Mitarbeitern kann das nur schwer allein realisieren. Auch in Kombination mit einigen wenigen Lehrkräften, die das beispielsweise im Unterricht evaluieren, ist das kaum machbar. 

DLP: Was braucht es dafür? 

LM: Man braucht dafür deutlich mehr (Wo-)Manpower. Für ein Projekt im Bereich Computerspiele, wie ich es angesprochen habe, benötigt man beispielsweise ein Dutzend Didaktiker, eine Zusammenarbeit mit Fachwissenschaftlern und einige Lehrkräfte, die es in mehreren Schulen umsetzen und testen, und zusätzlich noch Leute, die den Content, sprich das Spiel, entwickeln. Diese Personen müssen nicht nur wissen, wie die Curricula aufgebaut sind und was unterrichtet wurde, sondern sich auch intensiv damit auseinandersetzen, wie dieser Content sinnvoll in das Spiel integriert werden kann. Das ist nur ein Beispiel, aber es verdeutlicht, dass man mehr Ressourcen braucht. Ich denke, das ist ein ganz wesentlicher Aspekt – bringt man diese Leute zusammen, kann es und würde es meiner Ansicht nach gelingen.

Schule kann von der Wissenschaft lernen

Lars Menrath mit dem Fields-Medaillen-Träger Efim Zelmanov (1994) (Credit: Lars Menrath)

DLP: Sprechen wir noch einmal über Ihre persönlichen Begegnung mit den Nobelpreisträgern. Wie sehr wird sie das weiter begleiten? Was nehmen sie persönlich für sich mit?

LM: Die persönlichen Begegnungen mit den Nobelpreisträgern auf der Tagung waren wirklich beeindruckend und haben mich nachhaltig beeinflusst. Jede Unterhaltung, die ich geführt habe, war von außerordentlicher Wertschätzung geprägt. Die Nobelpreisträger haben uns Lehrkräften eine große Anerkennung für unsere Arbeit entgegengebracht, was für mich persönlich sehr ermutigend war. Ich erinnere mich besonders an ein Zitat von Robert Huber: „Our future rests on the teachers, thank you all.“ Er meinte damit wirklich uns alle, und diese Worte haben mich bestärkt, in meinem Engagement nicht nachzulassen.

DLP: Inwiefern wird sich das auf Ihre Rolle als Lehrkraft auswirken? 

LM: Diese Begegnungen haben mich motiviert, weiter nach neuen Wegen zu suchen, um den Unterricht zu verbessern und Schülerinnen und Schüler für die Wissenschaft zu begeistern. Es war auch inspirierend zu hören, dass Nobelpreisträger ebenfalls Herausforderungen und Rückschläge erlebt haben. Sie haben uns bestätigt, dass es normal ist, auf Widerstände zu stoßen und dass man daraus lernen und gestärkt hervorgehen sollte.

Diese Haltung, Fehler nicht nur zuzulassen, sondern als Teil des Lernprozesses zu sehen, hat mich tief beeindruckt. Ich denke, das ist eine wichtige Lektion, die ich weiter verinnerlichen werde und die mich in meiner Arbeit als Lehrer weiterhin begleiten wird.  

DLP: Ist das etwas, was Schule von Wissenschaft lernen sollte? 

LM: Auf jeden Fall, das ist sogar ganz elementar wichtig. Man kann sich nicht verbessern, ohne dass man seine Fehler einsieht und dann schaut, wie man es besser machen kann. Das erlebe ich auch im Unterricht oder im Prozess der Unterrichtsvorbereitung. Es geht nicht darum, alles perfekt zu machen, sondern darum, seine Schritte, Ideen und Entwicklungen möglichst gut zu durchdenken, dann zu evaluieren, zu überdenken und daraus zu lernen. Wenn wir das alle machen, bin ich sehr optimistisch, dass wir einen guten Job machen. 

Thorsten Timmerarens
Heraeus Bildungsstiftung
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Victoria Hildebrand
Deutscher Philologenverband
Tel. 0179 42 49 358
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